Genetische Beratung/Molekulargenetische Diagnostik

Dr. A. Bohring

Institut für Humangenetik der Universität Münster

Die humangenetische Beratung soll den Betroffenen und/oder ihren Familienangehörigen helfen, Fragen im Zusammenhang mit einer erblichen Erkrankung oder Entwicklungsstörung zu beantworten. Anlässe (Indikationen) für eine humangenetische Beratung bei ED sind:

  • Abklärung, ob es sich um eine Ektodermale Dysplasie handelt,
  • Bestimmung der im speziellen Fall vorliegenden Form der ED (bisher sind über 160 verschiedene Krankheitsbilder bekannt, die mit ED einhergehen),
  • die Klärung der Frage, ob die Ursache der im speziellen Fall vorliegenden Form der ED bereits bekannt ist und die Möglichkeit einer genetischen Untersuchung („Gentest“) besteht,
  • der Wunsch nach Feststellung der zugrunde liegenden Ursache (Durchführung einer genetischen Untersuchung),
  • die Feststellung des Erbgangs, d.h. wie wird die ED vererbt und wie hoch ist die Wiederholungswahrscheinlichkeit, ein Kind mit ED zu bekommen,
  • die Besprechung, mit welchen Symptomen und Komplikationen bei der diagnostizierten Form der ED gerechnet werden muss,
  • die Besprechung möglicher grundlegender Therapien, symptomatischer Behandlungen oder Vorsorgemaßnahmen,
  • die Erörterung der Möglichkeiten einer vorgeburtlichen Diagnostik und hieraus folgender Konsequenzen.

Die humangenetische Beratung ist freiwillig. Sie wird von entsprechend ausgebildeten Ärzten unter strenger Einhaltung der Schweigepflicht und des Datenschutzes durchgeführt. Die Dauer des Gesprächs hängt von der Fragestellung der Ratsuchenden ab und beträgt durchschnittlich eine Stunde. Im Rahmen der Beratung wird zunächst besprochen, welches Anliegen die Ratsuchenden haben. Danach wird eine ausführliche gesundheitliche Familienvorgeschichte über mindestens drei Generationen erhoben sowie die gesundheitliche Vorgeschichte des/der Betroffenen (falls selbst Ratsuchende) bzw. die mit Einverständnis des/der Betroffenen zur Verfügung gestellten ärztlichen Befundberichte besprochen. Falls der/die Betroffene selbst anwesend ist, erfolgt in der Regel auch eine körperliche Untersuchung, sofern dies für die Beantwortung der Fragestellung der Ratsuchenden notwendig ist. Anhand der erhobenen Untersuchungsbefunde und der Angaben zur Familienvorgeschichte wird dann eine möglichst genaue klinisch-genetische Diagnose gestellt. Abhängig vom Beratungsanliegen werden dann der für diese Erkrankung in Frage kommende Erbgang, Möglichkeiten der Untersuchung des Erbmaterials zur Diagnosesicherung bei Betroffenen oder hinsichtlich der Trägerschaft der genetischen Veränderung für die in der Familie aufgetretene erbliche Erkrankung, die Wahrscheinlichkeit des Wiederauftretens der Erkrankung, eventuelle Möglichkeiten und damit verbundene Probleme einer vorgeburtlichen Diagnostik sowie die gesundheitliche Bedeutung der Erkrankung und eventuelle Behandlungsmöglichkeiten besprochen. Die Entscheidung, ob angebotene Untersuchungen des Erbmaterials durchgeführt werden, liegt bei den Ratsuchenden und ist grundsätzlich freiwillig.

Prinzipiell werden bei der Ektodermalen Dysplasie alle drei Mendel’schen Erbgänge (autosomal-dominant, autosomal-rezessiv oder geschlechtsgebunden) beobachtet. Abhängig entweder von der zugrunde liegenden Genveränderung oder der gesundheitlichen Familienvorgeschichte kann eine konkrete oder eine formalgenetische Aussage über die Art der Vererbung (Erbgang) getroffen werden. Die Wahrscheinlichkeit des Wiederauftretens der Erkrankung bei Geschwistern oder Kindern eines/einer Betroffenen ergibt sich unter anderem aus dem Erbgang.

Die Ursachen der Ektodermalen Dysplasie sind vielgestaltig. Sowohl Chromosomenveränderungen als auch Veränderungen in einzelnen Genen können zur ED führen. Selbst nach Stellung einer klaren klinischen Diagnose kann oft erst nach einer Untersuchung des Erbmaterials eine Einschätzung zum Beispiel der Wiederholungswahrscheinlichkeit bei Geschwistern, Kindern oder weiteren Verwandten vorgenommen werden. Bei vielen Formen der Ektodermalen Dysplasie ist die zugrunde liegende Ursache noch unbekannt. Jedoch werden immer mehr Gene identifiziert, die, falls sie eine Veränderung aufweisen, zur ED führen können. Derzeit können folgende Gene routinemäßig untersucht werden:

  • EDA, EDAR, EDARADD
    bei der Hypohidrotischen Ektodermalen Dysplasie (Christ-Siemens-Touraine-Syndrom)
  • NEMO
    bei der Hypohidrotischen Ektodermalen Dysplasie mit Immundefekt sowie
    bei der Incontinentia pigmenti (Bloch-Sulzberger-Syndrom)
  • GJB6 (Connexin 30)
    bei der Hidrotischen Ektodermalen Dysplasie (Clouston-Syndrom)
  • TP63
    beim EEC3-Syndrom (Ectrodactyly = Spalthand/Spaltfuß, Ectodermal defects = ED, Cleft lip/palate = Lippen-Kiefer-Gaumenspalte),
    bei der SHFM4 (Split Hand/Foot Malformation Typ 4 = Spalthand/Spaltfuß-Fehlbildung Typ 4),
    beim EC-Syndrom (Ectodermal defects = ED, Cleft lip/palate = Lippen-Kiefer-Gaumenspalte), auch Rapp-Hodgkin-Syndrom genannt,
    beim ADULT-Syndrom (Acro = Finger-/Zehenendglieder, Dermato = Haut, Ungual = Nägel, Lacrimal = Tränendrüsen, Tooth = Zähne),
    beim Limb-Mammary-Syndrom (Limb = Extremitäten, Mammary = Brustdrüsen) und
    beim AEC-Syndrom (Ankyloblepharon = Verwachsung der Augenlider, Ectodermal defects = ED, Cleft lip/palate = Lippen-Kiefer-Gaumenspalte), auch Hay-Wells-Syndrom genannt.

Auf Forschungsbasis können weitere in Frage kommende Gene (Kandidatengene) untersucht werden. Im Rahmen eines humangenetischen Beratungsgesprächs kann auf diese Untersuchungsmöglichkeiten hingewiesen und, falls eine Teilnahme an einem solchen Forschungsprojekt gewünscht wird, die Besonderheiten einer Studienteilnahme (Aufklärung über Studienbedingungen, zu erwartende Ergebnisse, Dauer der Studie, Datenschutz etc.) erläutert werden.

Zusammenfassend dient die humangenetische Beratung der möglichst umfassenden Beantwortung aller die Ratsuchenden bewegenden Fragen im Zusammenhang mit einer ektodermalen Dysplasie und geht damit deutlich über eine übliche ärztliche Aufklärung hinaus. Zusätzlich erhalten die Ratsuchenden eine schriftliche Zusammenfassung, in der die Beratungsinhalte allgemeinverständlich und übersichtlich gegliedert zusammengefasst sind.

Glossar

Anodontie

Fehlen aller Zähne

Ektoderm

äußeres Keimblatt des Embryos

Hyperpyrexie

lebensbedrohliche Überwärmung des Körpers

Konjunktivitis

Bindehautentzündung am Auge

Meibom-Drüsen

Manchmal auch Tränenpünktchen genannt ist eine Drüse am Rande des Augenlides. Sie gibt eine ölige Flüssigkeit ab, die sich mit der Tränenflüssigkeit vermischt und so dafür sogt, dass das Auge länger feucht bleibt.

Oligodontie

deutliche Zahnminderzahl

Orthopantomogramm

Zahnpanorama-Schichtaufnahme